In Tirol gelten über 112.000 Menschen als armutsgefährdet, was einer Armutsgefährdungsquote von etwa 15% entspricht. Der Kulturpass von Hunger auf Kunst und Kultur ermöglicht diesen Menschen Zugang zu Kunst und Kultur. Dies fördert nicht nur die soziale Teilhabe und Integration, sondern bereichert auch das kulturelle Leben der Gemeinschaft insgesamt. Durch den Kulturpass können Barrieren abgebaut und kulturelle Vielfalt gefördert werden.
Liebe Frau Waas, wie wirkt sich Armut auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus?
Wenig oder kein Geld zu haben, bedeutet immer einen Mangel an Möglichkeiten. Wenn's knapp wird bezahlen wir zuerst Miete, Strom und Essen, bevor der Wunsch nach Museum, Konzert, Kino oder Theater überhaupt erst auftaucht. Armut geht oft einher mit Gefühlen der Scham, Ohnmacht, Isolation und Einsamkeit.
Konkret heißt Armut, kaum Möglichkeiten zu haben, in zentralen gesellschaftlichen Bereichen – wie Wohnen, Gesundheit, Bildung, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, kulturelles Leben – zumindest in einem Mindestmaß teilhaben zu können. Arme Menschen sind öfter krank, haben weniger freundschaftliche und nachbarschaftliche Kontakte, sind einem höheren Stresslevel ausgesetzt und haben weniger Chancen im Leben.
Warum ist der Zugang zu Kultur für alle Menschen wichtig?
Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht (Artikel 27 / Abs. 1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte)!
Die Möglichkeit aller an Kultur und Gesellschaft teilzuhaben, ist darüber hinaus aber Grundvoraussetzung für individuelle Selbstwirksamkeit, ein gesundes, erfülltes Leben und die Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft. Kunst und Kultur können Zusammenhänge von Verhalten und Macht erkennbar machen, Bewusstsein schaffen für gesellschaftliche Prozesse und zur Mit-Gestaltung einladen.
Die große verbindende Dimension von Kunst und Kultur wird leicht und zu oft unterschätzt. Kultur öffnet Horizonte, sie sorgt für Verständnis und manchmal auch für Unverständnis. Immer aber ist Kultur bunt und vielfältig und sie erzählt von Menschen, von ihren Geschichten, ihren Ideen und von ihren Gefühlen. Kultur verbindet. Kultur führt Menschen zusammen, bietet eine gemeinsame Grundlage und macht so Verständigung möglich.
Das Bewusstsein für den Wert und das Potential von Kultureller Teilhabe ist in den letzten Jahren rundum spürbar gewachsen. Auch das Bewusstsein dafür, dass Menschen nicht nur teilhaben dürfen an Kunst & Kultur, sondern dass ihre Teilhabe wertgeschätzt wird, dass ihre individuellen Gedanken dazu wichtig sind, dass ihre Gefühle einen Unterschied machen, dass Menschen also nicht nur teil-haben, sondern auch teil-geben und ihren Teil dazu beitragen können. - Aus der Ohnmacht in die wirksame Gestaltung.
Was ist der Kulturpass und wie funktioniert er?
Der Kulturpass ist eine „Eintrittskarte“ für Menschen, die sich Kunst und Kultur im Moment nicht leisten können.
Bei einem Haushaltseinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze, können sich Interessierte bei ca. 120 Ausgabestellen in Tirol den Kulturpass holen. Auch Kinder und Jugendliche aus armutsgefährdeten Haushalten haben Anrecht auf den Kulturpass. Mit den notwendigen Unterlagen (Ausweis, Meldezettel und Einkommensnachweis) kann der Kulturpass sofort mitgenommen werden und ist ab Ausstellung ein Jahr gültig, Wiederbeantragung bei Bedarf ist natürlich möglich.
Mit dem Kulturpass können kulturinteressierte Menschen Konzerte, Theater, Kino, Museen, Lesungen, Ausstellungen und andere Kulturveranstaltungen gratis besuchen. In Tirol gilt der Kulturpass als „kostenlose Eintrittskarte“ bei über 130 Kultureinrichtungen, er kann aber auch bei allen Kooperationspartner:innen in ganz Österreich verwendet werden.
Wie können Organisationen und / oder auch Einzelveranstaltungen Partner werden und Personen den Eintritt mit dem Kulturpass ermöglichen?
Die Initiative Hunger auf Kunst & Kultur lebt von der Solidarität mit Menschen, die sich Kunst und Kultur zur Zeit nicht leisten können. Daher freuen wir uns über Organisationen und Kulturveranstalter:innen, die ihre Türen öffnen und kulturelle Teilhabe für alle ermöglichen. Bei Interesse, Kooperationspartner:in vom Kulturpass zu werden, sind wir dankbar, wenn sich Einrichtungen bei uns melden. Wir klären die individuellen Rahmenbedingungen und treffen eine gemeinsame Vereinbarung über die Zusammenarbeit. Ab einem vereinbarten Zeitpunkt gilt der Kulturpass dann bei den betreffenden Veranstaltungen. Die Kultureinrichtung wird über die Kulturpass App, die Hunger auf Kunst & Kultur Website und die Drucksorten mitbeworben.
Ursprünglich war die Initiative als Solidaritätsaktion von Menschen mit mehr finanziellem Spielraum für Menschen, bei denen es knapper ist, angedacht. Daher stellen wir Spendenboxen zur Verfügung, deren Inhalt bei den jeweiligen Organisationen bleibt. So können die kostenlos ausgegebenen Kulturpass-Tickets einer Kultureinrichtung zumindest teilweise refinanziert werden.
Welche positiven Auswirkungen haben Sie bei den Nutzern des Kulturpasses beobachtet und was ist das Buddysystem?
Wir erleben eine unglaublich große Dankbarkeit und Freude, wenn Teilhabe mit dem Kulturpass plötzlich wieder möglich ist.
Teil haben an und Teil sein von Kultur erweist sich als Überlebensmittel, als Erinnerung an die eigene Wirksamkeit, an Selbstermächtigung und den Wert von persönlicher Lebensgestaltung. An Kunst und Kultur teilhaben zu dürfen, wird oft als Möglichkeit erfahren, berührt zu werden, wenn das Leben von Schutz und Mauern geprägt ist, neue, ungewohnte Eindrücke zu sammeln, sich in Beziehung zu setzen und sich statt einsam und isoliert, lebendig und als Teil der Gemeinschaft zu erleben.
Gleichzeitig reicht der Kulturpass manchmal nicht aus, weil es neben der finanziellen Hürden noch weitere Barrieren gibt, die Menschen von Kunst und Kultur fernhalten: eingeschränkte Mobilität, Scham und Unsicherheiten, mangelnde Sprachkenntnisse, fehlende Informationen über bestehende Angebote, psychische Erkrankungen, aber auch Angst, sich auf Unbekanntes, möglicherweise Kompliziertes einzulassen. In dieser Situation helfen unsere ehrenamtlichen Kulturbuddys.
Kulturbuddys sind Menschen, die sich bereit erklären, regelmäßig mit Einzelpersonen oder kleinen Gruppen unterschiedliche Veranstaltungen zu besuchen. Sie fungieren als Türöffner:innen ins kulturelle Leben, leisten Gesellschaft, helfen, begleiten oder sind einfach nur da – um Kultur und Zeit gemeinsam zu erleben, auf Augenhöhe.
Wir freuen uns über die Kontaktaufnahme von weiteren kulturinteressierten Menschen, die sich vorstellen können, einen Menschen mit Kulturpass ehrenamtlich zu begleiten. Als Ausgleich für die zur Verfügung gestellte Zeit, erhalten Kulturbuddys die Kosten der Eintrittkarten von gemeinsam besuchten Veranstaltungen rückerstattet.
Gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte oder Beispiele, die Sie teilen möchten?
Was mir an der Arbeit mit Hunger auf Kunst & Kultur und dem Kulturpass am meisten Spaß macht und mich begeistert, ist die Vernetzung der unterschiedlichen Bereiche. In diesem Projekt stehen die große Vielfalt an Kooperations-Partner:innen, vor allem aber auch die Wertschätzung und die gemeinsame Arbeit an Vielfalt, Zugänglichkeit und Teilhabemöglichkeit im Fokus.
Besonderes wirksam haben sich Formen der Zusammenarbeit zwischen den diversen Bereichen wie der Sozialarbeit, Kultureinrichtungen, wissenschaftlichen Partner:innen, Betroffenen und im Ehrenamt tätigen Menschen erwiesen. Gerade die Anbindung der Initiative Hunger auf Kunst & Kultur an den Tiroler Verein unicum:mensch und das Armutsforschungsforum schafft eine Plattform für unterschiedliche Zugänge, Facetten und Sichtweisen zur Thematik Armut und Ausgrenzung.
Dabei ist auf allen Seiten, von der Sozialen Arbeit über Kulturveranstalter:innen bis hin zu Bildungseinrichtungen, das Anliegen deutlich spürbar, zu mehr Sozialer Teilhabe, Solidarität und Vielfalt beizutragen. Besonders bemerkenswert und berührend sind die Veranstaltungen, bei denen Kulturelle Teilhabe gemeinsam weitergedacht wird, dabei ziel- und lösungsorientierten Ideen Raum geboten und zusätzliche Angebote entwickelt werden, die auf Bedürfnisse bestimmter Personengruppen eingehen und dabei zusätzliche Zielgruppen ansprechen, sowie Projekte angestoßen werden, die Rücksicht nehmen, die niederschwellig sind und die willkommen heißen zu einer Kultur von Menschlichkeit.

© Verein unicum:mensch
Verein unicum:mensch
Teresa Waas | Geschäftsführung
im Haus der Begegnung | Rennweg 12 | 6020 Innsbruck
kulturpass@unicummensch.org
+43 664 5846661